Musik

Bericht von Knut Rennert über musikalische Arbeit
Während meiner Mitarbeit in der Kooperative Dürnau ergaben sich viele Anlässe zu künstlerischen Aktivitäten und Forschungsprojekten, die durch den Fercher von Steinwand e.V. an mich herangetragen wurden und die im Rahmen des Vereins durchgeführt bzw. angegangen wurden. Hervorzuheben ist dabei folgendes:

Die musikalische Gestaltung des Johanni-Festes mit der Belegschaft der Firma Schaette
Hygienisches Musizieren im Betrieb
Musikalische Unterstützung der biologisch-dynamischen Maßnahmen in der Landwirtschaft, insbesondere beim rhythmischen Arbeiten, beim Zubereiten der Präparate und beim Schlachten
Diese Aktivitäten sind in keiner Weise als abgeschlossen zu betrachten, auch wenn sie durch meinen Umzug nach Düsseldorf nun etwas schwieriger zu betreiben sind. Vielmehr eröffnen die gemachten Erfahrungen neue Forschungsbereiche von allgemeinem Interesse und erweisen sich als Ansatz und Anregung in der sozialhygienischen, pädagogischen und volkspädagogischen Arbeit und für die Gestaltung von Festen und Feiern als außerordentlich fruchtbar. Diese Aktivitäten und gemachten Erfahrungen möchte ich im folgenden kurz beschreiben.
Idee für die Gestaltung des ersten Johanni-Festes war einerseits die Begegnung zwischen der Belegschaft der Firma Schaette und den Mitarbeitern der Kooperative Dürnau und andererseits das Einbeziehen der Natur, der Landwirtschaft und der Landschaft in diese Begegnung. Wesentlich sollte dabei der Charakter der Johanni-Zeit, das Ausströmen des Bewußtseins in die Peripherie und die Natur zum Tragen kommen. Diesem Anliegen kommt die Musik ihrem Wesen nach entgegen, denn im Musikalischen kann sich das menschliche Bewußtsein ganz in Raum und Klang verströmen, ohne sich dabei selbst zu verlieren.
So wurde versucht, Garten und Landwirtschaft nicht durch die Produkte zum Kern des Festes zu machen, sondern sie zum Klingen zu bringen durch eine musikalische Gestaltung, die sich einbettet in die Natur. Dazu wurden vor allem Material-Instrumente wie Klangsteine, Klanghölzer, handgeschmiedete Bronzetriangeln,Eisenstäbe, Gongs, Metallophone, aber auch klarinettenartige Instrumente und Kantelen, gleichartig in Gruppen zusammengefasst, in Garten und Landwirtschaft verteilt, wobei für jede Instrumentengruppe ein geeigneter Ort aufgesucht wurde. Mit einigen der Vorbereitenden war das improvisatorische Spiel dieser Instrumentengruppen vorher geübt worden, doch wurde darauf geachtet, daß immer noch einige Instrumente frei waren für spontan hinzutretende Mitspieler. Die musikalische Konzeption zielte dabei nicht auf ein perfektes künstlerisches Ergebnis, sondern mehr auf eine Art Klangbewegung durch das Gelände, die elementar bleibt und dadurch das Einbeziehen Ungeübter in den musikalischen Prozess und spontane Aktionen möglich macht.
Die eigentliche Gestaltung wurde so ein Gang durch die Landwirtschaft, der sehr verschieden mitvollzogen werden konnte: als Spieler oder Hörer, der von Instrumentengruppe zu Instrumentengruppe wanderte, vielleicht auch mal spielte und mal hörte, als Hörer, der von einem Platz aus die Klänge verfolgte, mal näher oder ferner, mal zarter oder kräftiger, oder als Entdekcer, auch in Gruppen, der im Laufe des Nachmittags und Abends immer wieder loszog, um neue Klänge zu entdecken und auszuprobieren. So wurde ein äußerst differenziertes Natur- und Landschaftserleben möglich, welches auch Wind, Wetter und Licht mit einbezog. Auch war deutlich erlebbar, wie der Mensch hier nicht nur als Benutzer der Natur auftrat, sondern ihr im Klang auch etwas zurückgeben, ja schenken konnte (siehe auch unten) In diesem Sinne kann dieses Johanni-Fest, auch wenn manches verbessert werden könnte, durchaus als Ansatz für eine ganz neue, zukünftige und notwendige Form des Festes gesehen werden.
Auch das hygienische Musizieren im Betrieb, welches während eines großen Teiles meiner Dürnauer Zeit mit einer Gruppe von zwei bis fünf Menschen an den Wochentagen stattfand, hatte zwei Forschungsanliegen, einerseits durch regelmäßige künstlerische Übung einen hygienischen Ausgleich zu finden für die anstrengende, oft zehrende Arbeit im Gewerbebetrieb und andererseits zu versuchen, die durch Maschinenlärm, Computer usw. verdorbene Atmosphäre und Stimmung durch Klänge zu bearbeiten und zu verbessern.
Mit elementaren Instrumenten (s.o.) wurde in der Druckerei improvisatorisch an Tonbildung, Klangbewegungen und sozialen Prozessen geübt und dann spielend mit Klanginstrumenten durch die anderen Räume, Setzerei, Büro, Verlag und Schreinerei gezogen.
In Bezug auf das erste Anliegen konnten nur begrenzte Erfahungen gemacht werden, da sich hauptsächlich Menschen zusammenfanden, die eine etwas engere Beziehung zur Musik haben, diese jedoch erlebten das Üben und Musizieren als wohltuend. Erschwerend kam noch hinzu, dasz wir uns morgens um 700 Uhr, vor Arbeitsbeginn, trafen, weil nur dann Ruhe herrschte, was natürlich die Langschläfer abschreckte. Atmosphärisch war jedoch nach jedem Spielen, jedenfalls für die Spieler und, wie uns gelegentlich gesagt wurde, durchaus auch für diejenigen, die als erste zur Arbeit kamen, eine gewisse Verbesserung zu spüren. Diese Verbesserung trug allerdings noch nicht durch den ganzen Tag, dazu wäre sicherlich eine Arbeit über Jahre nötig, und es müszten auch Instrumente und Spielweisen neu entwickelt werden, die vielleicht im Klang, vor allem aber in der Wirkung kräftig genug sind, ein ganzes Haus atmosphärisch umzugestalten. Die Schwierigkeiten solcher Vorhaben, die meines Erachtens dringend notwendig sind, aber auch Möglichkeiten und Ansatzpunke wurden so deutlich.
Die musikalischen Aktivitäten in der Landwirtschaft hatten im Wesentlichen Versuchscharakter, da die begleiteten Tätigkeiten rhythmisch an den Jahreslauf gebunden sind und daher über längere Zeiträume durchgeführt und beobachtet werden müszten, um zu deutlichen Erkenntnissen zu kommen.
Bis in unser Jahrhundert hinein ist es auch in Mitteleuropa üblich gewesen, alle landwirtschaftlichen und auch handwerkliche Arbeiten rhythmisch durchzuführen und musikalisch zu begleiten, wodurch u.a. mehr Schwung und Ausdauer entstand. Die Erkenntnis, dasz wir diese Fähigkeiten verloren haben, regte uns an, Entsprechendes bei der Heuernte, die wir mit Sensen durchführten, zu versuchen und zu prüfen. Zunächst ging es darum, Rhythmus, Schwung und Tempo der Arbeit mit der Sense herauszufinden, doch zeigte sich schnell, dasz jeder Mäher seinen eigenen Schwung und Rhythmus hatte. So versuchte ich mit einer Kupferflöte, beim Finden eines gemeinsamen Schwunges zu helfen. Es zeigte sich bald, dasz bewegte Sechsertakte am geeignetsten sind, dasz aber die Kupferflöte nicht genug trägt. Auch sagten die Mäher, dasz ich mitmähen müsse, um Tempo, Rhythmus und Schwung besser treffen zu können. So blieb nur das Singen, und ich muszte geeignete Lieder schnell selber schreiben und auswendig lernen, da ich keine finden konnte. Dies war natürlich in der Kürze der Zeit nur in beschränktem Masze möglich. Zwar legte ich die Lieder so an, dasz neue Strophen leicht erfunden werden konnten, die dann von einem eingängigen Refrain gefolgt waren, und die Mäher versuchten auch, eifrig mitzusingen, doch fehlte uns die Ausdauer, länger bei der Arbeit zu singen. Doch hat es sich schon während dieser kurzen Zeit bewährt, immer wieder zwischendurch zu singen, auch Lieder in anderen Taktarten, um sich wieder rhythmisch zusammen zu finden, wenn das Tempo auseinander fiel, denn im gemeinsamen Rhythmus ging die Arbeit deutlich schneller und leichter. Deutlich wurde aber auch, dasz wirklich alle mitziehen müssen, denn wenn nur einer den gemeinsamen Schwung nicht finden will und z.B. mit Kraft mäht, bremst das alle und damit das Gesamtergebnis, auch wenn er so vielleicht als Einzelner mehr schafft.
Um eine ganz andere Qualität geht es beim Rühren und Ausbringen der Kuhhornmist- und Kieselpräparate im biologisch-dynamischen Landbau. Kosmische Kräfte sollen in ihren Wirkungen für die Erde und die Pflanzen durch das Rühren und Versrprühen verstärkt werden. Hier ist ein anderes, mehr sphärisches Musizieren gefragt, auch wenn man natürlich das rhythmische Mähen als Liebkosen der Erde auffassen kann. Während des Rührens von einer Stude Dauer versuchten wir also gesangliche Klangbewegungen zu improvisieren und das Versprühen mit Triangel- und Gongklängen zu begleiten. Ob die vermutete Verstärkung der Präparatwirkung durch das Musikalische tatsächlich eintritt, konnten wir noch nicht prüfen, dazu wären über Jahre hinweg Versuchsreihen zu machen. Es war jedoch deutlich als Vorteil zu erleben, dasz es durch das Musizieren möglich wird, eine größere Zahl Menschen in diesen, für den biologisch-dynamischen Landbau so wesentlichen und zentralen Vorgang miteinzubeziehen. Schwierigkeiten machte auch hier wieder das Durchhaltevermögen, welches eben auch über Jahre geschult werden müszte.
Besonders deutliche Wirkungen waren dagegen beim musikalischen Begleiten des Schlachtens zu erleben. Mit Flötentönen in der Ur-Enharmonik der alten Griechen wurden die Tiere von der Weide oder aus dem Stall geholt und nach einer kurzen Stille, dem Todesmoment, mit Gongs begleitet und ausgeläutet. Die Tiere konnten dadurch, das war überdeutlich, ihre letzten Schritte ganz in Ruhe tun und starben mit einem wunderbaren Glanz in den Augen. Das Merkwürdige war aber, dasz sie bei Musiker und Schlachter nicht ein Gefühl der Schuld, sondern der Dankbarkeit hinterlieszen. Was von allen Jägervölkeren der Erde berichtet wird, dasz es wesentlich ist, eine persönliche Beziehung zu der Seele des zu tötenden Tieres aufzunehmen und ihr durch Musik und auch Tanz zu danken, ist durch dieses Erlebnis leicht nachzuvollziehen. Die Unverantwortlichkeit unseres Umganges mit der uns anvertrauten Kreatur und die Notwendigkeit, unsere Kultur so zu entwickeln, dasz wir den Tieren, den Pflanzen und der Erde tatsächlich etwas zu geben, zu schenken haben, und nicht nur nehmen, nehmen und nehmen, zeigt sich dadurch ganz grundlegend.
Auch wenn die geschilderten Aktivitäten nur als Ansätze und Versuche zu bezeichnen sind, so können sie in vielerlei Richtung anregen. Für mich stellen sie grundlegende Erfahrungen dar, die wesentlich in die tägliche Arbeit mit den Schülern der Gladbecker Waldorfschule, in die volkspädagogische Arbeit, in die künstlerische Tätigkeit, in die Entwickelung neuer Instrumente und in die Forschung an Grundphänomenen des Musikalischen einflieszen und diese prägen. Die Fruchtbarkeit dieser Ansätze erweist sich mir täglich neu, wenn auch auf etwas anderen, aber doch verwandten Gebieten, und ich hoffe, dass dies für die Arbeit des Fercher-von-Steinwand Vereins und der Kooperative Dürnau ähnlich ist.